Leistung und Geschichte von Aussiedlern wertschätzen

In Deutschland leben rund vier Millionen sogenannte „Spätaussiedler“, die in den vergangenen Jahrzehnten aus Mittel- und Osteuropa sowie Asien ihren Weg nach Deutschland gefunden haben. Die Deutschstämmigen aus der ehemaligen Sowjetunion stellen dabei die größte Gruppe der Aussiedler. Sie sind Nachfahren von deutschen Auswanderern, die über Jahrhunderte ihre neue Heimat geprägt und vorangebracht haben. Zu einer Zeit, als auch Millionen Deutsche ihr Glück in Amerika suchten und auch dort zum Aufbau der neu gegründeten Staaten beitrugen.

Die Deutschen aus Russland haben über lange Zeit ihre Sprache, ihr religiöses Bekenntnis und ihre Bräuche bewahren können. Dies hat dazu geführt, dass sie vor allem im Zuge des Zweiten Weltkriegs und auch noch nach 1945 unter Generalverdacht gestellt und diskriminiert wurden. Diktator Stalin ließ sie zu Millionen aus ihren Siedlungsgebieten (z.B. an der Wolga) deportieren. Der Gebrauch der deutschen Sprache wurde ihnen vielfach verboten, ihre deutsche Kultur sollten sie nicht pflegen dürfen.

Gerade in den Nachkriegsjahrzehnten waren sie Repressionen und Benachteiligungen ausgesetzt, wurden von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt. Auch wenn sich viele durch Fleiß und Tüchtigkeit hochgearbeitet hatten, fühlten sie sich nicht mehr heimisch und nutzten die wachsenden Möglichkeiten zur Rückkehr nach Deutschland.

In Deutschland hat sich die große Mehrheit der Deutschen aus Mittel- und Osteuropa und Asien in wenigen Jahren integriert, Arbeitsplätze gefunden, Handwerksbetriebe und Firmen gegründet und sich auch kulturell eingebracht. In Rheinland-Pfalz hat eine große Zahl von Aussiedlern insbesondere seit 1990 eine neue Heimat gefunden. Sie haben einen wichtigen Beitrag für unsere wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung geleistet. Durch ihre Zuweisung in ländlich strukturierte Regionen unseres Landes haben sie die Abwanderung aus diesen häufig strukturschwachen Regionen abgeschwächt.

Im Gegensatz zu anderen Migrationsgruppen spielen die heimgekehrten Aussiedler in der öffentlichen Debatte eine untergeordnete Rolle. Dies wird jedoch ihrer Leistung und ihren Herausforderungen nicht gerecht. Denn sie haben mehr Anerkennung für ihre Aufbauleistung und auch eine stärkere Aufmerksamkeit für ihre mögliche Brückenfunktion nach Mittel- und Osteuropa und auch bis nach Asien hinein verdient – Regionen, denen zu Unrecht wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Denn sie sind für unsere wirtschaftliche Entwicklung und den kulturellen Austausch von großer Bedeutung. Daher war die Begründung der Partnerschaft mit Oppeln und Mittelböhmen ein wichtiger Impuls, der weiter vertieft werden muss.

Aussiedler mussten und müssen aufgrund der Minderheitenpolitik ihrer Herkunftsländer ebenfalls in vielen Fällen die deutsche Sprache neu lernen, sich um eine Anerkennung ihrer Qualifikationen bemühen, zusätzliche Qualifikationen erwerben und auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Dies ist in den meisten Fällen sehr gut gelungen. Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Waldemar Eisenbraun, umschreibt diese Leistung mit dem Wortspiel, die Aussiedler seien auffällig unauffällig.

Gerade wegen ihrer erfolgreichen Integrationsleistung und wegen ihrer so bewegten Vergangenheit sollten das Erbe und die Erfahrungen der Aussiedler mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Anerkennung erfahren. Denn ihre ganz eigene Geschichte bietet einen reichen Schatz, die Zukunft zu gestalten. Ihre fortbestehenden Kontakte und ihre Mehrsprachigkeit können eine wichtige Brücke nach Osteuropa und Asien sein. Ihre Erfahrung totalitären Leids unterstreicht umso mehr den Wert unserer freiheitlichen Demokratie. Das Motiv eines erfolgreichen Neuanfangs – sowohl nach ihrer Auswanderung in den Osten wie auch nach ihrer Heimkehr nach Deutschland sind beispielgebend. Es macht Mut, die Herausforderungen der Zukunft tatkräftig zu bestehen und kraftvoll anzugehen.

Daher fordert der Landtag die Landesregierung auf,

  • anlässlich des bundesweiten Gedenktages am 20. Juni von Flucht und Vertreibung auch in Rheinland-Pfalz eine verstärkte Gedenkarbeit zu den Erfahrungen und zu den Leistungen der Aussiedler anzustoßen;
  • die Geschichte der deutschen Auswanderung nach Amerika sowie Ost- und Mitteleuropa in den Lehrplänen für das Fach Geschichte stärker zu verankern;
  • im Sozialkundeunterricht die Bedeutung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit auch am Beispiel der bewegten Geschichte der deutschen Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa zu verdeutlichen;
  • die Bedürfnisse und Leistungen der Aussiedler in der Integrationspolitik des Landes stärker zu berücksichtigen.

(Bild: Aussiedler 1946, Quelle: Bildarchiv Sudetendeutsche, copyright)